Können wir es uns leisten, Zeit totzuschlagen?

Es sind schon merkwürdige Zeiten. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir in Österreich jemals zuvor Ausgangsbeschränkungen hatten. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus haben das gesellschaftliche Leben fest im Griff. Nicht nur in Österreich, sondern gegenwärtig in vielen Teilen der Welt!

Doch was tun, wenn wir zumindest für einige Wochen quasi unter Hausarrest stehen und zur Untätigkeit verdammt sind? Auf die Couch legen und vor dem Fernseher die Zeit totschlagen?
Keine Sorge. Das wird kein Ratgeber á la: „Wie kann ich in Corona-Zeiten den Tag besser nutzen?“ Ich traue es meinen Lesern durchaus zu, diese Frage für sich selbst zu beantworten und aus diesen Wochen der Einschränkung eben das Beste zu machen: Die Ruhe zur Erholung nutzen, seit langem aufgeschobene Hausarbeiten erledigen, Hobbys ausüben, denen ohnehin zuhause und alleine nachgegangen wird, usw.
Ich für meinen Teil habe die Zeit in den vergangenen Tagen zum Beispiel genutzt, um meinen heißgeliebten Oldtimern erstmals in diesem Jahr eine Handwäsche zu gönnen. Außerdem habe ich, mit strengem Augenmerk auf die von der Bundesregierung verordneten Einschränkungen, an sage und schreibe vier Tagen in Folge Waldspaziergänge unternommen. Wann habe ich sonst schon die Zeit dafür? Dann, letztendlich, kann ich mich durch den temporären Wegfall von sozialen Kontakten nun auch verstärkt bestimmten Aspekten meiner Berufung als Kunstschaffender widmen. Weniger dem großen Projekt, das ich seit Monaten verfolge und das zugegeben gerade etwas unter der Corona-Krise leidet, sondern eher den Details. Etwa solche Kleinigkeiten wie das Philosophieren.
Ja, in der Tat: Das ist eine der Aufgaben eines Künstlers. Es geht nicht nur darum ein paar Kleckse Farbe auf eine Leinwand zu klatschen oder besonders poetische Formulierungen auszuarbeiten, sondern vor allem auch darum, spannende Lebensfragen aufzuwerfen und im Idealfall auch Antworten, oder jedenfalls Lösungsansätze dafür zu finden.

Eine dieser Lebensfragen, die mir heute angesichts der aktuellen Lage bei einem Spaziergang durch das verregnete, menschenleere Eisenstadt in den Sinn gekommen ist, lautet: Können wir es uns wirklich leisten, Zeit totzuschlagen?
Ein Menschenleben ist kurz. Je älter wir werden, umso stärker realisieren wir wie kurz es wirklich ist. Wer sich selbst etwas aufbauen möchte und nicht in mehreren Generationen denkt, stellt fest, dass es dafür eigentlich kaum lang genug dauert – vor allem nicht um dann auch die Früchte der eigenen Arbeit noch ergiebig auszukosten. Können wir also einfach so guten Gewissens ein paar Gänge herunterschalten und der kostbaren Zeit beim Verrinnen zusehen?
Die zutreffende Antwort hängt einerseits von den individuellen Ansprüchen an das eigene Leben ab – die muss jeder für sich selbst definieren. Andererseits ist sie davon abhängig, ob es sich um ein temporäres oder ein permanentes Zeit-Totschlagen handelt.
Ich glaube jeder kennt es. Diese gähnende Langeweile im Arztwartezimmer. Oder diesen Wunsch, gerade lieber woanders zu sein, wenn wir uns in wenig anregender Gesellschaft befinden – oder aber, wenn die Gesprächsthemen einstweilen wenig anregend sind. Oder natürlich, wenn plötzlich Ausgangsbeschränkungen erlassen werden, um die Ausbreitung eines Virus einzudämmen.
So etwas passiert, das kommt vor, das ist in Ordnung … so lange es sich in Maßen hält. Keiner verpasst das Leben, weil es hin und wieder vereinzelt Situationen gibt, in denen sich die Uhrzeiger gar nicht schnell genug drehen können (wenngleich sie in diesen Momenten stillzustehen scheinen).
Problematisch wird es, wenn sich derartige Situationen häufen – wenn sie an der Tagesordnung stehen. Wenn du am Morgen eigentlich nur aufstehst, damit du dich abends wieder schlafen legst und die Zeit dazwischen für dich eher nur lästig und langwierig ist. Wenn du fast jeden Tag gezwungen bist, Zeit totzuschlagen. Wertvolle Zeit, die du auch damit verbringen könntest am eigenen Leib stets aufs Neue zu erfahren was es bedeutet, Lebensglück zu fühlen.

"Eine Zeit lang erträgst du Lasten, aber irgendwann reicht es. Dann brauchst du Veränderung."

Wie es dazu kommen kann, dass du ständig Zeit totschlägst? Durch Fügung! Nein, ich meine nicht das Schicksal … ich meine den Sachverhalt, wenn du dich fügst. Wenn du deine eigentlichen Träume aufgibst für das, was realistisch scheint: Wenn du im falschen Job feststeckst und Tag für Tag einfach nur sehnlichst auf den Feierabend wartest. Wenn du dich in der falschen Gesellschaft oder Partnerschaft befindest – oder wenn dir in deinem Leben etwas für dich persönlich Bedeutsames fehlt. Das alles können Gründe dafür sein weshalb du das Gefühl hast, dass du deine Zeit nur totschlägst, anstatt sie richtig zu erleben.

Als Freizeitpionier betrachte ich solche Faktoren sehr aufmerksam und reflektiert. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – muss ich erkennen, dass auch ich selbst noch zu viel Zeit totschlage, oder jedenfalls nicht optimal nutze. Teilweise, weil ich mich in bestimmten Bereichen dem Alltag nach wie vor zu sehr füge – und teilweise, da ich mich manchmal vielleicht zu sehr auf meine Berufung konzentriere und darüber hinaus eine andere, persönliche Vision vernachlässige, die für mich von essentieller Bedeutung ist.
Es gibt in dieser Sache also nicht nur Schwarz und Weiß. Es gibt nicht nur jene, die ihre Zeit leichtfertig vertrödeln und jene, die ihr Leben bewusst und in vollen Zügen erleben. So einfach ist es nicht – und je eher du deine Sinne dahingehend schärfst, umso eher wird dir (womöglich schmerzlich) bewusst, wie viel deiner Zeit du eigentlich totschlägst.

Ein Geheimrezept, wie sich dieses Zeit-Totschlagen ausmerzen lässt, gibt es nicht – jedenfalls ist mir keines bekannt. Es funktioniert nur Schritt für Schritt, durch bewusste Selbstreflexion und konsequente Entscheidungen. In der Theorie ganz einfach, doch die Tücke liegt wie so oft in der Praxis.
Letztendlich hilft es natürlich auch nicht, sich selbst andauernd mit dem Gedanken zu stressen, bloß keine Sekunde ungenutzt zu lassen.

Welches Fazit lässt sich also ziehen? Können wir es uns nun leisten, Zeit totzuschlagen? Die Antwort lautet: Ja, manchmal, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Aber keinesfalls dauerhaft!
Mach dir keine Sorgen, weil nicht jede Sekunde deines Lebens ein einziges Abenteuer ist – aber gehe sicher, dass du dein Leben erlebst, anstatt es zu verleben; dass du deine Zeit nicht Tag für Tag totschlägst und – eher als es dir lieb ist – feststellst, dass du alt geworden bist und dein Leben ungenutzt an dir vorübergegangen ist.

Photo: Thomas Sailer

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ein gutes Mittel gegen die hohe Inflation

Lieferengpässe als Inflationstreiber

Rohstofflager Privathaushalt